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Klinisch, ambulant, (teil)stationär – Welche Chancen eröffnen Assistenzsysteme in der Pflege?

Active Assisted Living

Unter dem Begriff „Active Assisted Living“ (AAL, auch „Ambient Assisted Living“) werden technische Assistenzsysteme zusammengefasst, die im Zusammenspiel mit Dienstleistungen viele Zielgruppen erreichen. Für die Pflege ergeben sich hieraus Möglichkeiten, weil es bei dem Einsatz der Systeme um die Aktivierung von Kompetenzen für ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben geht. Das ist die Kernfunktion pflegerischen Handelns. Wenn die Ziele sich gleichen, könnte der Einsatz von AAL in der Pflege eine Chance darstellen, den Herausforderungen der demographischen Entwicklung und dem zunehmenden Personalmangel zu begegnen und gleichzeitig für eine Verbesserung der Versorgungsqualität zu sorgen.

Nimmt man die Kundenperspektive ein, so bieten Assistenzsysteme viele Möglichkeiten für unterschiedliche Lebensbereiche. Dazu gehören die Vermeidung von Risiken, die Förderung von Gesundheitskompetenzen und auch die Verbesserung der Lebensqualität. In der Pandemie hat sich darüber hinaus gezeigt, dass Assistenztechnologie über alle Pflegebereiche hinweg für die soziale Teilhabe große Potentiale bietet.

Pflege ist ein sehr heterogenes Feld an der Schnittstelle zwischen Gesundheits- und Sozialwesen. Einsatzmöglichkeiten reichen von der medizinisch geprägten Versorgung im Krankenhaus über die Pflege zuhause, das Wohnquartier bis hin zum Heim. Damit ergeben sich auch Chancen für die unterschiedlichen Berufsgruppen bei der Bewältigung der Arbeit in der Pflege und in angrenzenden Disziplinen. Im Folgenden finden Sie Beispiele für Einsatzmöglichkeiten digitaler Technologien in unterschiedlichen Pflegesettings.

Technische Assistenzsysteme in den Pflegesektoren       

Klinische Pflege – Unterstützung bei Routinearbeiten

In der klinischen Pflege besteht für Assistenzsysteme vor allem dann eine größere Akzeptanz, wenn sie bei Routinearbeiten unterstützen und damit zur Personalentlastung beitragen. Ein Beispiel für ein derartiges System ist die Kombination aus Schwesternruf und Monitoring-System. Mit der Rufanlage stellt der Patient den Kontakt zum Stationszimmer her. Über den Monitor kann dort eine umfassendere Einschätzung der Situation erfolgen, als über eine reine Sprechverbindung von klassischen Schwesternrufen. Damit lassen sich Wege sparen und die erforderliche Unterstützung im Vorfeld besser planen.

Noch effizienter wird ein solches System, wenn es im Bedarfsfall mit Sensorik verknüpft wird. So können Bewegungssensoren zum Beispiel nach einer Operation darüber Aufschluss geben, ob das Bett bereits verlassen wird. Das kann auf der einen Seite Kontrollgänge ersparen und andererseits in der Kombination mit dem Monitoring-System die Beurteilung der Lage verbessern, wenn es sich zum Beispiel um einen vermeintlichen Notfall handelt.

Es kann sogar der gesamte Pflege- und Versorgungsprozess profitieren, wenn klinische Daten mit Sensoren erfasst werden und eine Auswertung nach festgelegten Algorithmen erfolgt. Von der Planung bis zur Evaluation können die Daten objektiviere Einschätzungen liefern und damit zur Verbesserung der Ergebnisse und schließlich der Pflegequalität beitragen.

Ambulante Pflege – Selbstbestimmtes Leben ermöglichen

Menschen, die in ihrer häuslichen Umgebung auf Hilfe von Angehörigen und Pflegekräften angewiesen sind, sollen so lange wie möglich ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen können. Hier entfalten AAL-Systeme das größte Potential. Denn sie können Bedarfe und Bedürfnisse befriedigen, die über medizinische und pflegerische Unterstützung hinausgehen. Dazu gehören die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte, die Förderung der Sicherheit und die Eindämmung von Risiken.

Im Fokus der Technologien für die Anwendung in der ambulanten Pflege stehen solche Systeme, die bei der Bewältigung des Alltags und bei Gesundheitsproblemen unterstützen. Das reicht von der Erinnerungsfunktion für die Medikamenteneinnahme über Gesundheitstagebücher bis zum intelligenten Hausnotruf. Voraussetzung für ein gesundes Leben in der eigenen Häuslichkeit ist die soziale Teilhabe. Eine besondere Bedeutung kommt daher videogestützter AAL-Technologie zu, mit der einer Vereinsamung entgegengewirkt werden kann.

Assistenzsysteme können dafür einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sie auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der häufig hochbetagten Menschen abgestimmt sind. In der eigenen Häuslichkeit spielen daher auch Komfortlösungen eine Rolle. Dazu gehören unter anderem „SmartHome“ und „SmartLiving“ Systeme, wie zum Beispiel die automatisierte Steuerung für Heizung oder Beleuchtung. Auch Fitness-Applikationen oder altersgerechte Spiele können dazu dienen, über lebenswichtige Funktionen hinaus mit den Assistenzsystemen ein angenehmes Leben in der eigenen Häuslichkeit zu fördern.

Teilstationäre Pflege – Assistenzsysteme in der Gemeinschaft

Die pflegerische Betreuung ist nicht immer in der eigenen Wohnung möglich. Gleichzeitig wünschen in einer derartigen Situation nicht alle Menschen als Alternative den Wohnort Pflegeheim. An der Schnittstelle hat sich ein Angebot entwickelt, das die Vielfältigkeit der Situationen pflegebedürftiger Menschen widerspiegelt. Es reicht von Mehrgenerationenhäusern, der pflegerisch betreuten Wohngemeinschaft, über Quartierskonzeptionen bis hin zu Wohngruppen, die an stationäre Einrichtungen angegliedert sind und deren Infrastruktur nutzen.

Entsprechend vielfältig sind die Bedarfe der pflegebedürftigen Menschen an diesen Orten und die Anforderungen an Assistenzsysteme. Auch in der teilstationären Versorgung geht es in der Regel um ein individuelles Setting, das persönliche Ansprüche an das Zuhause in den Vordergrund stellt. Diese Wohnformen eint, dass sich dort mehrere pflegebedürftige Menschen unter einem Dach, bzw. in enger Nachbarschaft befinden. Assistenzsysteme mit Service-Angeboten wie zum Beispiel virtuelle Seniorengruppen zur Vernetzung in der Gemeinschaft, bieten hier große Chancen.

Wenn die teilstationäre Wohnform im Zusammenhang mit einem Pflegephänomen steht – wie es beispielsweise bei Demenz-Wohngemeinschaften der Fall ist – so rücken Technologien in den Vordergrund, die bei den erforderlichen pflegerischen Interventionen ansetzen. Beispiele sind Systeme zur Erleichterung der Biographie-Arbeit, mit Funktionen zum Gedächtnistraining, aber auch zur Orientierung und zur Ortung, wenn dies die gesundheitliche Situation erfordert.

Stationäre Pflege – Vermeiden von Pflegeproblemen und Gesundheitsrisiken

Die Grenze zwischen teilstationärer und stationärer Wohnform ist fließend. Das schlägt sich in den Heimgesetzen der Bundesländer nieder, die eine unterschiedliche Zuordnung des teilstationären Bereichs zur ambulanten und zur stationären Pflege vornehmen. Der stationäre Pflegesektor wiederum befindet sich seit Jahren im Umbruch und nimmt Konzeptionen aus dem teilstationären Sektor auf, um einerseits die Wirtschaftlichkeit zu verbessern und anderereits das Angebot zu individualisieren.

Assistenzsysteme können sowohl in Bezug auf die Effizienz, als auch bei der Schaffung individueller Lösungen im stationären Pflege-Setting Vorteile schaffen. Der Einsatz von Sensorik kann die Interventionen bei definierten Pflegeproblemen wie zum Beispiel der Sturzgefahr oder der Inkontinenz verbessern und damit zur Effektivität und auch zur Kostendämpfung beitragen. Das gilt ganz besonders auch für die häufig mit hohem Pflegeaufwand verbundene Versorgung von Menschen mit dementiellen Erkrankungen. Außerdem lassen sich auch hier die zuvor genannten Technologien einsetzen, die zu einer Steigerung der Lebensqualität bei den Heimbewohnern führen.

Herausforderungen für das Qualitätsmanagement

AAL-Technologie ist in Bezug auf die Qualität in einem Spannungsfeld angesiedelt. Denn es geht nicht nur um die Anforderungen an die eingesetzte Technik, sondern vor allem um die Servicequalität – hier der pflegerischen Leistungen. Diese unterliegen einerseits individuellen Bedarfen und andererseits den gesellschaftlichen Anforderungen, die sich in Gesetzen niederschlagen. Das Qualitätsmanagement muss diese Perspektiven berücksichtigen. Das schließt objektivierbare Indikatoren genauso ein wie die subjektiven Faktoren, die einen Mehrwert für die Lebensqualität anzeigen.

In der Zukunft liegt in der Erforschung dieser Ziele beim Einsatz von AAL-Technologie ein Schwerpunkt. Bringen die auf dem Markt befindlichen Lösungen einen quantifizierbaren Nutzen und führen sie gleichzeitig zu langfristigen Effekten und einer Steigerung der Lebensqualität?