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Klientenberatung in der Pflege: unterschiedliche Beraterperspektiven

Klientenberatung in der Pflege

Das Leistungsrecht der Pflegeversicherung ist hoch komplex. Ohne eine Beratung finden sich Laien selten zurecht. Wer nach Informationen sucht, macht die Erfahrung, dass Pflegeberatung ganz unterschiedliche Facetten hat. Sie ist gesetzlich geregelt und gliedert sich in mehrere Ebenen. Dabei fehlt jedoch ein einheitliches Qualitätsniveau. Ein Ausweg könnte die Reintegration der Pflegeberatung in die Arbeit der Fachkräfte sein. Dazu müssten personale Kompetenzen stärker in der Ausbildung gefördert werden.

Das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) hat in einer Untersuchung bereits 2015 deutschlandweit über 4.500 Beratungsangebote in der Pflege identifiziert (Büscher et al., 2016). Seither ist diese Zahl gestiegen. Das jüngst verabschiedete Digitale-Versorgungs-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) erweitert dieses Feld noch um „digitale Elemente für die Pflegeberatung“ (BMG, 2021).

Menschen, die nach einer Beratung im sozialen Umfeld und zu sozialrechtlichen Fragen suchen, kommen in den meisten Fällen mit konkreten Anliegen, die sich aus ihrer sehr persönlichen Situation ergeben. Das können Sorgen rund um die Themen Beeinträchtigung und Behinderung, Pflege und auch zur Hilfe und Unterstützung in besonderen Lebenslagen sein. Für Beratende ergeben sich daraus gleichzeitig hohe Ansprüche an soziale Kompetenz und fachliches Know-how. Sie müssen Bedürfnisse und Möglichkeiten der Ratsuchenden richtig einschätzen und wie Lotsen im Leistungsdschungel die Bedarfe und Ansprüche ermitteln. Gleichzeitig fungieren sie als Kümmerer mit besonderen Anforderungen für eine gute Kommunikation.

Beratung hat darüber hinaus ganz unterschiedliche Dimensionen und Bedeutungen. Es kann sich um den Austausch von Informationen handeln, sie kann aufklärerischen und sogar erzieherischen Charakter haben, aber auch der Anleitung und Schulung dienen. Entsprechend gibt es ein weites Spektrum an Settings, in denen Pflegeberatung stattfindet. Das reicht von der Bereitstellung von Informationen im Internet über das Beratungsgespräch bis hin zum Erlernen pflegerischer Tätigkeiten unter Anleitung. Beratende im eigentlichen Sinne betreiben zwischenmenschliche Kommunikation. Das sind gewöhnlich Situationen und Settings, bei denen es nicht um einseitige Informationsaufnahme geht.

Die Ausgangslage ist komplex, weil das Leistungsrecht nicht aus der Kundenperspektive verfasst ist. Das führt zumindest qualitätstheoretisch zu Herausforderungen. Die Leistungen sind in Sozialgesetzbücher (SGB) gegliedert, die wiederum Klienten-Bedarfe in Sachgebiete unterteilen: Rente, Krankheit, Unfall, Pflege, Teilhabe, Arbeitslosigkeit, Armut. Tatsächlich ergeben sich im wahren Leben jedoch Überschneidungen. Zum Beispiel können Menschen mit einer akuten Erkrankung (SGB V) unter einer Behinderung (SGB IX) leiden und gleichzeitig pflegebedürftig sein (SGB XI). Solche Beispiele lassen sich beliebig fortführen. Beratende bewegen sich hingegen im Rahmen des gesetzlich vorgesehenen Auftrages mit den entsprechenden fachlichen Grenzen. Gleichzeitig nehmen sie ganz unterschiedliche Rollen und Sichtwiesen gegenüber Ratsuchenden ein.

Aus rechtlicher Sicht ergeben sich vier Perspektiven für die Pflegeberatung. Sie haben jeweils einen anderen Fokus und spielen sich daher auch meist in unterschiedlichen Beratungs-Settings ab.

 

Ausdrücklich den Blick über pflegerische Bedarfe hinaus hat die Beratung nach Paragraph sieben des elften Sozialgesetzbuches (§7a SGB XI). Sie steht allen Menschen offen, die Fragen zur Versorgung im Pflegefall haben. Das können auch Angehörige sein. Die Beratung wird häufig von Mitarbeitern der Pflegekassen oder in kommunalen Pflegestützpunkten erbracht und zielt auf die Erstellung eines Versorgungsplanes für pflegebedürftige Menschen ab. Dieser Plan kann Bedarfe enthalten, die über die Pflege hinausgehen. Beratende müssen daher über ein weitreichendes sozialrechtliches Know-how verfügen. Das wird in gesetzlich geregelten Fort- und Weiterbildungen erworben.

Der Spitzenverband der Krankenkassen ist per Gesetz dazu beauftragt, in Zusammenarbeit mit Sozialverbänden und den Bundesländern die Beratungsrichtlinien nach §7a SGB XI zu erstellen. Sie wurden erst kürzlich überarbeitet und im Oktober 2020 veröffentlicht (GKV, 2020). Die Richtlinien beinhalten „Empfehlungen zur erforderlichen Anzahl, Qualifikation und Fortbildung von Pflegeberaterinnen und Pflegeberatern“ (GKV, 2018). In diesen Empfehlungen ist geregelt, welche Qualifikationen die Menschen mitbringen sollen, die nach diesem Gesetz eine Pflegeberatung durchführen.

Dazu gehört die sogenannte Grundqualifikation in einem ausgewiesenen sozialen Berufsfeld. Das sind Pflege, Sozialrecht und Sozial- oder Heilpädagogik. Zu festgelegten fachbezogenen Themen müssen 400 Weiterbildungsstunden nachgewiesen werden: Pflegefachwissen (100), Case Management (170), Recht (130). Darüber hinaus gehören ein Pflegepraktikum und regelmäßige Fortbildungen zu den fachlichen Anforderungen. Bei der Anzahl der Pflegeberater, die nach diesem Gesetz für die Bevölkerung bereitstehen müssen, bleibt die Richtlinie äußerst vage. Tatsächlich gibt es enorme Unterschiede in der Beratungsdichte zwischen den Regionen in Deutschland. Darüber hinaus ist diese Beratungsinstanz nicht flächendeckend bekannt.

Viel häufiger genutzt wird eine weitere gesetzlich geregelte Beratungsleistung, die sich ausschließlich auf den Pflegebedarf im eigenen Zuhause bezieht. Dort wird immerhin der größte Teil der Pflegebedürftigen versorgt und für Bezieher von Pflegegeld ist die Beratung sogar verpflichtend. Es handelt sich um die Pflegeberatung nach dem dritten Absatz des siebenunddreißigsten Paragraphen im elften Sozialgesetzbuch (§37.3 SGB XI). Beratende haben hier auf der einen Seite eine kooperative Funktion, weil sie gemeinsam mit den pflegebedürftigen Menschen und gegebenenfalls den Angehörigen die jeweilige Pflegesituation analysieren und fachgerechte Empfehlungen geben. Auf der anderen Seite hat diese Beratung einen Kontroll-Charakter, weil die Beratungsergebnisse den pflegerischen Handlungsbedarf dokumentieren. Gleichzeitig sind sie ein Hebel für eine menschenwürdige Versorgung und Missstände führen zu direkten Konsequenzen.

Beratungen nach diesem Paragraphen werden vor allem von Pflegekräften ambulanter Pflegedienste mit einer entsprechenden Zusatzqualifikation durchgeführt. Auch für diese Fortbildung gibt es einen Empfehlungskatalog (GKV, 2019). Der enthält neben den fachlichen Voraussetzungen, die in der Regel den Anforderungen einer dreijährigen pflegefachlichen Ausbildung entsprechen, auch Hinweise auf personale Kompetenzen wie Empathie und Offenheit. Darüber hinaus ist die Empfehlung in Bezug auf die Qualifikation der Beratenden allerdings sehr unspezifisch.

Beratungen nach §45 SGB XI zielen auf die Anleitung von Angehörigen und ehrenamtlich Pflegenden. Beratende haben in diesem Falle die Funktion eines Trainers. Neben ausgewiesener fachlicher Kompetenz sind daher pädagogische Fertigkeiten gefragt. Allerdings hat der Gesetzgeber hier den weitesten Spielraum für die Qualifikation der Beratenden gelassen. Die Anforderungen sind der Aushandlung zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen und Leistungserbringern überlassen, die sich dazu vertraglich einigen müssen. Sie sind daher nicht bundeseinheitlich geregelt und können zwischen den Ländern, aber auch unter den Anbietern variieren.

Es gibt einen fachlichen Auftrag der beruflich Pflegenden zur Beratung. Das bedeutet, dass ein Teil der pflegerischen Tätigkeit auch die Beratung und Anleitung pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen ist. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Pflegeberufe schreibt vor, dass Pflegefachkräfte die individuelle Situation der von ihnen versorgten Menschen regelmäßig einschätzen und ihre Klienten fortwährend zum Pflegebedarf beraten müssen. Streng genommen vereint die fachpflegerische Perspektive damit die zuvor dargestellten Sichtweisen, die sich aus den Einzelparagraphen im SGB XI ergeben und reicht von der Informationsweitergabe über die Situationsanalyse bis hin zur Anleitung.

Da Pflegekräfte die pflegebedürftigen Menschen meist über einen längeren Zeitraum begleiten, kommt dieser Tätigkeit theoretisch eine Schlüsselfunktion zu. Die Praxis sieht jedoch gewöhnlich anders aus. Denn in der Langzeitpflege spielt die Beratungsfunktion nur eine nachgeordnete Rolle. Ein Grund ist unter anderem, dass die unmittelbare und regelmäßige Beratung im Pflegeprozess bei den Vergütungen für die pflegerischen Leistungen kaum berücksichtigt wird. Wo jedoch die Kostenerstattung fehlt, verkümmert diese Aufgabe.

 

Bedürfnisse und Dialog

Der Schlüssel für das Gelingen eines Beratungsprozesses ist die Kommunikation. Dafür sind Kompetenzen erforderlich, die nur in geringem Maße vom Beratungssetting abhängen. Vielmehr geht es um Haltung, Bewusstsein und die Fähigkeit zur effizienten Gestaltung von Dialog-Situationen. Gefragt sind Soft-Skills wie Konfliktkompetenz, Empathie, Integrationsvermögen, Motivation.

Wenn Kommunikations-Anforderungen an die Handelnden über die Beratungssituationen hinweg gleich sind, dann würde sich für den Erwerb dieser Kompetenzen eine verbindliche Standardisierung anbieten. Eine solche Regelung gibt es jedoch nicht. Nur die bundesweit geltende und vom rechtlichen Aufgabengebiet her umfassendste Richtlinie für die Pflegeberatung nach §7a SGB XI sieht ausdrücklich einen entsprechenden Kompetenzerwerb vor, und zwar im Rahmen des o. g. Case-Management-Moduls.

Erkenntnisse für die Beratungsqualität

Die gesetzlich vorgegebenen Beratungsperspektiven, die sich auch noch auf unterschiedlichem Regulierungsniveau bewegen, wirken dem Qualitätsgedanken entgegen. Selbstverwaltung, Länderverordnungen, Kassenregulierung tun ein Übriges, dass die Qualifizierung der Beratenden im Pflegebereich eine weit verzweigte Fort- und Weiterbildungs-Landschaft befördert hat. Der Markt ist voll von Weiterbildungskonzepten und Angeboten für den Kompetenzerwerb.

Beratende in der Pflege nehmen unterschiedliche Rollen ein und folgen damit den gesetzlichen Vorgaben. Dabei ist zwischen personalen und fachbezogenen Kompetenzen zu unterscheiden. Diese wiederum gliedern sich in pflegerische und rechtliche Aspekte. Für die Leistungsqualität ergeben sich folgende Erkenntnisse:

  1. Die Anforderungen an persönliche Kompetenzen sind unabhängig von der Perspektive der Beratenden gleich. Daher würde sich eine übergreifende Standardisierung für den Kompetenzerwerb und die Qualitätssicherung anbieten.
  2. Die Beratungslandschaft in der Pflege ist stark zergliedert, obwohl sich dafür weder pflegefachlich noch sozialrechtlich eine Notwendigkeit ergibt. Eine Harmonisierung unter Berücksichtigung qualitätstheoretischer Ansätze mit klarer Klientenorientierung wäre wünschenswert.
  3. Die Beratungsprozesse sollen zwar in Bezug auf die erreichten Ziele evaluiert werden. Eine kontinuierliche Qualitätssicherung und Auditierung der Beratenden ist jedoch nicht vorgesehen. Für eine flächendeckend gute Beratung in der Pflege sollten dafür Qualitätsregeln und entsprechende Prüfmechanismen aufgestellt werden.

Beratung zurück in die Praxis

Qualität erwächst aus der Erfüllung des Kundennutzens, hier der pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen. Sie ergibt sich aus sehr individuellen Bedürfnissen. Beratende müssen ihr fachliches und personales Know-how bündeln, um den besten Nutzen für einzelne pflegebedürftige Menschen zu erreichen. Beratungsqualität ergibt sich in der Pflege  aus der Kenntnis der Bedarfssituation vor Ort. Mit der Nähe zu den Menschen hat die Fachpflege in der Versorgungssituation das größte Qualitätspotenzial als Beratende.

Die weitgehende Entkopplung der Pflegeberatung aus der Pflegepraxis hinein in einen administrativen Akt führt zur Einengung der Beratungsqualität und beschneidet die fachliche Kompetenz der Pflegenden. Die Rückgabe der Beratungsfunktion an die operativ fachlich Pflegenden würde der Qualität der Pflege in zweierlei Hinsicht dienen: Weil sie im Sinne des Qualitätsgedankens zu kundennaher Beratung führt und gleichzeitig diese pflegenden Beratenden und damit das Berufsfeld selbst stärkt.

Im Grunde erwerben Pflegekräfte das Handwerkszeug für Beratung und Anleitung während ihrer Fachausbildung. Dort sind sie als Teil des pflegerischen Handelns originär angesiedelt. Ein wichtiger Hebel für die Förderung der Leistungsqualität und die Stärkung der Beratenden wäre neben einer auskömmlichen Vergütung der Leistung ein Ausbau des Erwerbs persönlicher Kompetenzen in der fachlichen Ausbildung.

An dieser Stelle müsste auch das allgegenwärtige Thema Digitalisierung ansetzen. Wer in strukturierter Weise den Umgang mit vernetzten Technologien, digitalen Hilfsmitteln und intelligenter Software erfahren und erlernt hat und die Risiken und Chancen kennt, hat großes Potenzial, Ratsuchende kompetent zu beraten.

 

BMG 2021, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/guv-19-lp/dvpmg.html

Destatis 2020 https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/_inhalt.html

GKV 2020, GKV Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur einheitlichen Durchführung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI vom 7. Mai 2018 (Pflegeberatungs-Richtlinien) in der Fassung vom 5. Oktober 2020

GKV 2019, Empfehlungen nach § 37 Absatz 5 SGB XI zur Qualitätssicherung der Beratungsbesuche nach § 37 Absatz 3 SGB XI vom 29.05.2018 – zuletzt geändert am 21.05.2019 –

GKV 2018, Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 7a Absatz3 Satz 3 SGB XI zur erforderlichen Anzahl, Qualifikation und Fortbildung von Pflegeberaterinnen und Pflegeberatern vom 29. August 2008 in der Fassung vom 22. Mai 2018

IGES 2020, Evaluation der Pflegeberatung und Pflegeberatungsstrukturen gemäß § 7a Absatz 9 SGB X

Kersten&Strupeit 2018 Gutachten zum Thema: Anforderungen und Rahmenbedingungen für wiederholte Beratungsbesuche zur Stärkung Pflegebedürftiger und deren Angehörigen in der häuslichen Pflege

ZQP 2016, Qualitätsrahmen für Beratung in der Pflege